Meine kleine Anthologie tschechischer Musik
Josef Suk (1874 - 1935)

Heiko Schröder


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Vorläufiger Text! Zur Zeit finden Arbeiten in der Abteilung »Smetana« statt.

Josef Suk ist der Schwiegersohn Antonín Dvořáks und ein hochinteressanter Komponist. Er begann als Spätromantiker, der mit der Suite zu Julius Zeyers Bühnenwerk Radůz a Mahulena, op. 16 (Suite, op. 16) den Inbegriff tschechischer Märchenmusik schuf. Hier zeigt sich bereits der begnadete Klangzauberer, der - wie ein kluger Geist einst sagte - der tschechischen Musik die leuchtende Sphäre rings um den Klang geschenkt habe. Nach einem fürchterlichen Schicksalsschlag, bei dem er innerhalb eines Jahres seinen Schwiegervater und seine Frau verlor änderte sich seine Tonsprache radikal und ging weit über Dvořák hinaus. Die Sinfonie Asrael, op. 27 (benannt nach dem mohammedanischen Todesengel) war eine sehr große Überraschung für das tschechische Publikum, da dort Klänge zu hören waren, die nie zuvor ein tschechisches Ohr zuvor vernommen hatte. Als ein Künstler mit tadelloser Haltung, entwickelte er seinen neuen Stil konsequent zu immer größerer Leuchtkraft weiter und war nicht bereit, an das Publikum Zugeständnisse zu machen. So gibt es in seinem Schaffen keinen ''Königsweg'', der ihn zum Weltstar hätte machen können. Neben Smetana und Janáček (''Im Nebel'') halte ich ihn auch für den bedeutendsten Klavierkomponisten: Neben den Zyklen Járo, op. 22a (Frühling) und Letní dojmy op. 22b (Sommerimpressionen) sind es vor allem der sehr intime Zyklus O matince, op. 28 (Über Mutter) und der zweiteilige Zyklus Životem a snem, op. 30 (''Was ich erlebt und geträumt''), die dem Hörer diesen liebenswerten Meister nahebringen können. Sein Geburtsort ist Křecovice bei Benešov u Prahy.

Wanderer, willst Du nach Křecovice,
darfst Du Dich auf ein kleines Abenteuer gefasst machen. Am Besten startest Du in Benešov, das von Prag aus leicht zu erreichen ist. Bist Du gut zu Fuß, folge der Cena Suk (Suks Weg) quer duch die Mittelböhmischen Lande in das 15 km entfernte Dörfchen, und dann weitere 15 km nach Süden in die Ortschaft Sedlček, wo Du den ''verwachsenen Pfad'' verlassen kannst, um mit der Bahn nach Benešov zurückzufahren. Ziehst Du es vor, mit dem Bus ''abzutauchen'', so kann es Dir passieren, dass Du für 24 Stunden das ''Tagebuch eines Verschollenen'' führen musst, denn möglicherweise wird an jenem Tag das Dorf nur einmal bedient, und Dein Aufenthalt ist nur auf eine knappe Studnde bemessen, bevor der einzige Bus des Tages nach Benešov zurückfährt.

Sein Grab würde wohl jeder auf dem Nationalfriedhof des Vyšehrad vermuten,
und sein weltbekannter Enkel gleichen Namens liegt auch dort. Aber Großvater Suk blieb seinem Geburtsort wohl noch enger verbunden als es bei seinem Schwiegervater der Fall war; und so findest Du seine letzte Ruhestätte auf dem wunderschönen ''Bergfriedhof'' gleich hinter der Kirche von Křecovice, wo sich auch die ''vergessenen Gräber'' befinden, denen er einst in dem Klavierzyklus Životem a snem, op. 30 (''Was ich erlebt und geträumt'') ein liebevolles Denkmal gesetzt hat. Du wirst nicht lange suchen müssen, denn es ist mit Abstand das auffälligste Grab dieses sympathischen Friedhofs, und es sieht ganz danach aus, als ob der Nationalfriedhof des Vyšehrad hier eine Außenstelle pflegt.

Josef Suks Musik
löst bei vielen Tschechen Liebe und freudige Zustimmung aus; jedenfalls gilt dies für die Werke der ersten Schaffensperiode zu Lebzeiten seines Schwiegervaters. Auch im Ausland scheint er inzwischen einige Bewunderer zu haben, und etliche jüngere Ohren können sich dem bezwingenden Wohlklang seiner Tonsprache und der Frische seiner Orchesterfarben nur schwer entziehen, sobald sie die Gelegenheit hatten, ein Werk von ihm kennenzulernen. Doch gibt es auch nicht Wenige, die schnell mit den Worten ''Kitsch'' und ''Klischee'' bei der Hand sind. Der Name ''Suk'' klingt doch schon in deutschen Ohren nach Zucker und ''träumerischer Weichheit''. Tatsächlich bedeutet er schlicht: Ast. Die Sache mit dem ''Kitsch '' ist leider nicht so einfach von der Hand zu weisen. Dazu später etwas mehr.

Auf dem Konservatorium
fiel Antonín Dvořák recht früh die originelle Schreibweise seines Schützlings auf, so dass er ihm mehr Freiheiten ließ als den anderen Mitgliedern der Meisterklasse, zu denen zum Beispiel auch Vítězlav Novák gehörte. Der ungemein produktive Josef Suk wurde sehr bald Dvořaáks Lieblingsschüler. Lediglich eines störte den Meister: Suk bevorzugte Molltonarten. Als Dvořák mit seiner Familie nach Amerika aufbrach, gab er Suk eine Aufgabe: ''Es ist Sommer. Also schreiben Sie bitte etwas Heiteres.'' Suk machte sich sofort an die Arbeit und als Dvořák nach einem Jahr seine alte Heimat besuchte zögerte er nicht lange, seinem Freund Johannes Brahms die Streicherserenade, op. 6 zu zeigen; und dieser war ganz aus dem Häuschen, was äußerst selten vorkam (''Herrgott, ist das aber nett!''). Das Werk wurde gedruckt, und so hatte Johannes Brahms abermals die Gelegenheit, einem jungen ''Dvořák'' das Tor zur Welt zu öffnen.

Die Streicherserenade, op. 6,
der Geniestreich eines jungen Meisters, gehört auch im Ausland zu Josef Suks bekanntesten Werken. Die Eleganz und ihre schon fast an Mozarts Schaffensgeheimnisse rührende Gestaltung legte bald einen Vergleich mit Meldelssohn nahe. Allein das Thema des Kopfsatze ''komme vom Himmel'', simplifizierte die Einen - obwohl es wohl für einen Künstler keine größere Beleidigung gibt, als ihm zu sagen, dass ihn der Himmel steuere - das sei gehobene Unterhaltungsmusik, die Anderen. Wie auch immer. Niemand sollte den langsamen dritten Satz überhören. Man schrieb erst das Jahr 1892, und dann diese Musik aus der Feder eines Achtzehnjährigen.

Das eigentliche Geheimnis
hinter dieser Schaffensexplosion aber war nicht ''im Himmel'' verborgen, sondern irdisch und höchst menschlicher Natur: Dvořáks blühende Tochter Otylka. Der Vater bekam, wie so oft, als Letzter mit, dass sich etwas in seiner Umgebung veränderte. Nicht selten saß Dvořák auch im Alltag, ja selbst bei Spaziergängen ''am Schreibtisch''. In diese Zeit fallen die Klavírní skladby, op. 7 (Klavierstücke), eine Sammlung bunter Perlen, die zu unterschiedlichen Zeiten entstanden. Die sehr kurze, ungemein plastische Humoreske evoziert die Erzählung einer lustigen Begebenheit und die Idylle Nr. 2 und vor allem die schöne Dumka beschwören die unverwechselbaren Klänge Bedřich Smetanas. Das Glanzstück ist zweifellos die erste Nummer, das Píseň laský (Liebeslied), ein Weltschlager, der nicht selten beim Bodenwettbewerb im Frauenturnen zu hören ist

Als Orchesterkomponist
war Suk bislang nocht nicht hervorgetreten als er sich bereits an ein Bühnenwerk von Julius Zeyer wagte. Es sollte den Geniestreich der Streicherserenade wiederholen. Inzwischen hatte nun auch der Letzte der Familie Dvořák - das war natürlich der Pater Familiis höchst daselbst - mit großer Freude begriffen was zwischen Otylka und seinem zukünftigen Schwiegersohn Josef lief. Es wurde eine Doppelhochzeit (am Tag der Silbernen Hochzeit Dvořáks). Von nun an wurde für Josef Suk die Familie Dvořák zum Lebensmittelpunkt. Er musste sich als 2. Geiger des Böhmischen Streichquartetts, zu dessen Gründungsmitgliedern er zählte, häufiger entfernen als ihm lieb war.

Radůz und Mahulena:
jenes Bühnenwerk von Zeyer. Bilder sind zwar immer etwas Zusätzliches. Der ''Wert'' einer Musik hat mit ihnen nichts zu tun. Und doch: Viele verbinden mit den tschechischen Landen das Märchen. Wenn es irgendeinen Sinn haben sollte, von dem Inbegriff einer tschechischen Märchenmusik zu sprechen: Hier war ein Klangzauberer vor dem Herrn, der seine Suite zu diesem Schauspiel schlicht Pohádka, op. 16 (Ein Märchen) nannte; das Werk gilt sozusagen als Visitenkarte des jüngeren Suk. ''Die Zeit, in der ich am Radůz arbetete, war die schönste meines Lebens'', wird er später sagen - und es ist auch deutlich zu hören. Natürlich waren die beiden Hauptdarsteller für ihn nichts Anderes als die Alter egos von Otylka und ihm selbst. Die Suite enthält vier stark konstrastierende Sätze, die (vielleicht zufällig) im Charakter stark der Streicherserenade verwandt sind. Den ersten Satz beherrscht eine um einen Ton kreisende schöne höchst einprägsame Melodie in der obligaten Violine, die in ihrer schlichten Natürlichkeit kaum zu übertreffen ein dürfte. Damit charakterisiert sich Suk selbst. Auf den ersten Blick sieht das Ganze wie ein Sonatensatz aus, aber die ''Durchführung'' beherrscht ein aus vier Tönen bestehendes sehr orginelles Motiv, das in Freundeskreisen schon früh als ''Todesmotiv'' bezeichnet wurde. Der zweite Satz (ein Scherzo) beherrscht eine Polka, wie sie Smetana nicht hätte besser erfinden können. Suk donnert sie kurz vor dem Mittelteil mit einer so großartigen Instrumentation hinaus, dass sich hier pure Lebensfreude die Bahn bricht. Der bezwingendste Satz ist wieder der langsame dritte, eine Trauermusik zu ''des Königs Begräbnis''. Gegen die Lichtwirkungen der Orchesterfarben in diesem Satz wirkt ''Ases Tod'' von Edvard Grieg geradezu eintönig. Der vierte Satz ist insofern ''zweiteilig'', als das hier zwei verschiedene Klangwelten aufeinanderstoßen. Die brutale herbe der Königin Roona und die weltentrückte Zaubermusik aus dem ersten Satz mit dem Thema des Radůz, die natürlich den Sieg davonträgt. Mit jener unverwechselbaren Sukschen Melodie klingt das Märchen leise aus. Großartig gemacht!

Die nächsten Jahre
brachten neben den zeitaufwändigen Verpflichtungen als zweiter Geiger weiteres Schaffensglück. Herausragend sind die beiden Klavierzyklen op. 22. Der erste, Járo, op 22a (Frühling) besteht aus vier geschlossenen Nummern, die auf wunderbare Weise ein einheitliches Ganzes ergeben. Wieder eine ''Glückswerk'' im besten Sinne des Wortes. Die drei Letní dojmy, op. 22b (Sommerimpressionen) sind in kräftigere Farben getaucht, und bilden eher eine Suite. Im ersten Satz Mittag ''sehen'' wir eine Landschaft unter gleißender Sonne, der zweite Spielende Kinder, ist so plastisch und genau beobachtet wie die schon erwähnte Humoreske aus op. 7. Der gewichtigste Satz des ganzen op. 22 ist der Sommerabend, in dem wieder der begnadete Melodiefinder Suk alle Register zieht. Das Liebeslied aus op. 7 grüßt kurz herein. Aber der ganze Satz mit seinen höchst einprägsamen Melodiebögen ist ein einziger Abendgesang eines glücklichen Menschen in der Natur. Die Fatasie für Violine und Orchester, op. 24 und Fantastické scherzo op. 25 enthalten bei allem Temperament wunderbare Liederfindungen in ihren mittleren Teilen. Es sind die letzten beiden Werke aus Suks glücklicher Zeit.

Die Katastrophe
begann im Frühjahr 1904. Josef Suk befand sich auf einer Konzertreise in Madrid. Und litt unter Heimweh. Kunst ist eine Medizin, und so beschloss er, die ''Steinerne Stadt'' Prag mit einem großen orchestralen Fresko zu ehren. Die Arbeit war kaum begonnen als am 1. Mai die traurige Nachricht eintraf: Antonín Dvořák ist tot. Mit nur 63 Jahren. Sofort unterbrach Suk die Tournee - und stürzte sich in Arbeit. Sein Fresko wollte er unbedingt gut zu Ende führen, zumal er glaubte, dass es seinen Schwiergervater gefreut hätte. Gleichzeitig beschäftigten ihn Gedanken an eine Sinfonie, mit der er Dvořák ehren wollte. Im Herbst 1904 war die sinfonische Dichtung Praga, op. 26 fertig. ''Sie ist aus Begeisterung entstanden.'' sagte Suk. In der Tat. Sie ist eindrucksvoll, vielleicht gerade zum Schluss auch ein wenig bombastisch - und monumental soll sie sicherlich sein. Aber der ''alte'' Suk, der Erfinder großartiger Melodien, lebt vor allem im Mittelteil. Es ist - meine ich - sehr deutlich zu hören, dass Suk auch andere Dinge beschäftigt haben. Seine Sinfonie, zum Beispiel. Die Arbeit ging gut voran. Bis zum nächsten Sommer hatte er die ersten drei Sätze komponiert als der Tod ein zweites Mal zuschlug und dabei seine geliebte Otylka hinwegraffte, die an einem Herzfehler litt. Innerhalb eines ''guten Jahres'' verlor der 33 Jährige beide Menschen, die für ihn den Lebensmittelpunkt bedeuteten.

Asrael, op. 27
so der Name der 2. Sinfonie. Eine handfeste Überraschung für das Publikum. Nie hat ein tschechisches Ohr je solche Klänge gehört. Was ist mit Suk los? Ist das noch der Meister des Radůz? Aber ja. Hören wir genau hin. Der erste Satz. Ein leises Motiv aus vier Tönen. In immer kleineren Intervallen um die Tonika kreiselnd. Kraftloser werdend. Ein ''Heben des Kopfes''. ''Kennt Ihr mein Problem?'' Nach einem Aufschrei donnert das Motiv heraus. Die Entwicklun eines komplizierten Satzes beginnt. Als Seitenthema leuchtet die Radůz-Musik herein, wie durch eine Wolkenlücke als wollte sie die dunklen Schatten vertreiben. Aber das Leuchten ist von einem weißen Schleier überzogen. Verblasst. Stille. Das Todesmotiv in den tiefen Registern der Klarinetten. Unerhörte Wirkung. Hochinteressante Durchführung. Mündeet folgerichtig in der lauten Wiederkehr des Todesmotivs. Und dann reißt die Wolkendecke wieder auf, und die Musik des Radůz lässt die Landschaft strahlend aufleuchten, heller als je zuvor, und - ist das Ganze nicht ein wenig überdreht, jublend stoßen Fanfaren das Todesmotiv in hellem Dur hinaus. Gewaltiger Donnerschlag. Beethoven. Da da da dam. Auch vier Töne. An der Grenze des Erträglichen. Bevor sich der Zuhörer aus dem Geschehen zurückzieht, ebbt das Ganze ab und verpufft im Todesmotiv. Kitsch? Nun, ja. Aber auf jeden Fall großartig gearbeitet.

Asrael, 2. Satz:
Fahles Licht. Weltentrückt. Violinen in höchsten Lagen über einem Orgelpunkt der Bläser. Andante. Ein Zitat aus Dvořáks Reqiem gesellt sich hinzu. Wandern wir mit den Toten? Intermezzo. Plötzlich ist Schluss. Kitsch? Naja, aber gut gemacht.

Asrael, 3. Satz:
Teufelstanz. Thema aus dem 2. Satz entwickelt. Großartig! Ein wahrhaft diabolischer Walzer leitet über zum Trio. Pause. Radůz. Und wie kommt diese Musik jetzt daher? Was Josef Suk hier an Klängen aufbietet reißt einen vom Stuhl, denn die die Musik leuchtet in so satten Farben wie nicht einmal bei der orginalen Musik zu Radůz und Mahulena; und doch war dem Hörer wohl damals bewusst, dass er an dieser Stelle zum letzten Mal den ''alten Suk'' hören würde. Aus. Todesmotiv. Der Walzer endet in einer geifernden Todesfratze. Kitsch? Nein. Pause (vorgeschrieben).

Asrael, 4. Satz:
Eine Erinnerung an Dvořáks Schaffen (wie ursprünglich geplant)? Nein. Es ist die Landschaft des zweiten Satzes. Otylkas Bild tritt durch den Schleier. Zwiegespräch mit der Violine(!). Zum letzten Mal. Das Orchester ruft sie. Es nützt nichts. Das Bild verblasst. Guter Satz. Wie so oft bei Suks langsmaen Sätzen. Kit...

Asrael, 5. Satz:
Krachender Donnerschlag. Wir sind wieder in der Wirklichkeit (1. Satz). Eine verzweifelte Seele stürzt sich in Arbeit. Oder wirft Sachen durch die Gegend. Verzeiflung. Ohne Grenze. Im Wortsinn. Abebben. Die Musik steigert sich in einem gewaltigen Fugato. Verlassen der Tonalität. Die Hölle bricht los. Deutlich härter als am Schluss des ersten Satzes. Dann kehrt Ruhe ein. Was nun folgt ist schwer zu fassen: Suk gewinnt dem Todesmotiv ein warmes unwiderstehliches Leuchten ab von geradezu magischer Intensität. In diesem ruhigen Licht endet das unglaubliche Werk.

Kitsch?
Ein Tonsetzer kann niemals wissen, welche Bilder der Hörer mit seiner Musik assoziiert. Bewusst wurde bei der Uraufführung des Asrael kein Begleittext erstellt. Jeder wisse ja, worum es gehe, so Suk. So ist es. Aber Smetana macht es mit seinem Klaviertrio, op. 15, mit dem er den Tod seines vierjährigen hochbegabten Töchterchens Bedřiška (Fritzchen) künstlerisch verarbeitet, dem Hörer leichter. Auch hier trauert eine leidende Seele. Aber der Hörer wird nicht in das Geschehen mit einbezogen. Er kann den Abstand wahren, so als wollte der Meister sagen: ''Ich freue mich darüber, dass Du an meinem Leid Anteil nimmst und von meinem Töchterchen wissen willst, aber Du stehst ja nicht in meinen Schuhen. Also kann ich auch nicht von Dir verlangen, dass Du meine Trauer teilst. Aber so sieht es eben aus.'' Am Ende überwindet die Seele die Trauer und bricht in einen hellen Jubel aus. Somit ist das Klaviertrio trotz seiner düsteren Grundstimmung ein helles, optimistisches Werk, ganz im Gegensatz zu dem ersten Streichquartett ''Aus meinem Leben'', das trotz seiner hellen Grundstimmung am Ende in Resignation versinkt. Desgleichen bei Dvořák. Das ''Stabat mater'', seine vielleicht tiefste Schöpfung auf dem Gebiet geistlicher Musik, schrieb er zu Ehren dreier Kinder, die im Hause Dvořák verstorben waren. Das Werk ist nicht für die Aufführung in der Kirche gedacht (obwohl natürlich möglich). Auch Dvořák zieht den Zuhörer nicht mit in das Geschehen. Es geht um das Nachdenken über die letzten Dinge. Deshalb ist das Stabat mater auch keine ''Trauermusik'' im eigentlichen Sinne. Die magischen Lichtwirkungen im zweiten Teil des Werkes bis hin zum feurigen ''Quando corpus morietur'' lassen den Hörer bereichert zurück. Bei Suk liegen die Dinge ganz anders. Die leidende Seele schreit ihre Verzweiflung in den Ecksätzen heraus wie es expressiver kaum möglich ist, und manchmal auch die Grenze des Erträglichen strapaziert. Der Kontrast zu den Radůz-Einflechtungen ist denkbar groß; fast kommen sie süßlich daher, was etlichen Hörern auch wieder als zuviel des Guten erscheinen kann. Es gibt somit erheblich weniger Hilfen, sich zu distanzieren, als bei Suks großen Vorgängern. Also Anteilnahme bei Smetana und Dvořák und Mitleid bei Suk? Vielleicht ist das zu einfach. Suk sieht den Asrael als ein allgemein menschliches Werk (und war wohl nicht wenig überrascht, als ihm ein Hörer sagte, seine Kunst hätte eine subjektive Komponente). Es geht nicht um eine, sondern um die leidende Seele; es kann also jeden treffen. Bereicherung also auch hier. Nur anderer Art. Kitsch? Für die einen ja, für die anderen nein. Das ist in der Tat eine sehr subjektive Entscheidung, die auf der viel beschworenen ''Geschmacksebene'' angesiedelt ist. Über die kompositorische Qualität des Werkes sagt das freilich gar nichts aus.

''Wert'' des Asrael:
Wer bereit ist, das ''Kitsch''-Problem aus der Diskussion herauszuhalten, kann sich vielleicht denjenigen Dingen öffnen, die beim Asrael zu bewundern sind. Natürlich ist die Sinfonie kein Werk, das sich ohne Weiteres leicht ''umärmeln'' lässt. Ja, es verbietet sich bei diesem ''Inhalt'' fast von selbst, nach einer Darbietung zu klatschen (oder irgendwelche anderen Lauäußerungen von sich zu geben). Worin liegt die Faszination bei dieser Sinfonie? Mich (und ich kann natürlich nur für mich sprechen) hat bei meinen Annäherungsversuchen immer die Großartigkeit der Instrumentation begeistert. Bei häufigerem Hören erschließt sich der Kosmos einer unglaublich filigranen polyphonen Arbeit, und bei jedem Hören lässt sich mehr entdecken (Bereicherung!) wie beim vorherigen - ein oftmals sehr verlässliches Zeichen für ein sehr gutes Werk. Inzwischen bin ich so weit, dass mir die Architektonik des Ganzen als geradezu perfekt erscheint und ich inwzischen vermute (!!), dass Asrael in diesem Sinne die ''beste'' Sinfonie sein könnte, die bisher überhaupt auf tschechischem Boden entstanden ist. Oskar Werner sagte einst: ''Ein Meisterwerk muss man sich erarbeiten. Man bekommt es nicht über Nacht geschenkt.'' Wie sehr dieser Satz zutrifft, konnte ich von Asrael lernen.

Pohádka léta, op. 29 (Ein Sommermärchen)
ist die Fortsetzung des Asrael. Dazwischen liegt der sehr bedeutende, intime Klavierzyklus O matince, op. 28 (''Über Mutter''), den Suk für seinen Sohn schrieb (der übrigens ebenfalls Josef hieß, aber kein Musiker war; erst der Enkel, ebenfalls ein Josef, ist jener berühmte Geiger des 20. Jahrhunderts). Im Gegensatz zum Asrael soll die Musik des Sommermärchens Bilder evozieren, deren Inhalt sich den Überschriften entnehmen lassen. Suk nannte es deswegen keine Sinfonie, sondern eine Suite, obwohl die Abfolge der Sätze sehr wohl dem einer Sinfonie entsprechen.

Sommermärchen: Der 1. Satz
ist mit ''Stimmen der Hoffnung und Tröstung'' überschrieben. Na, da können wir uns ja auf Einiges wieder gefasst machen. Die Musik hebt wunderbar mit gedämpften Klängen der tiefen Streicher an. Flirrende Luft. Undeutliche Konturen, die sich allmählich verdichten und - der strapazierte Hörer ahnt schon, was kommt - ein Aufschrei, natürlich. Die Kontraste sind beim ersten Hören möglicherweise derart gewaltig, dass der CD-Player ausgeschaltet oder weitergezappt wird. Vielleicht auch mit dem feierlichen Gelöbnis, dass diese Musik niemals gefallen wird. Doch da war dieser fesselnde Beginn. Schließlich: Einmal ganz den Satz durchhören. Nein. Das ist es nicht, das wird es niemals sein. Aber dann wieder der Anfang, ein aufgeschnappter Tanz, der wie durch ein Schleier die flirrende Luft durchdrungen hat. Nochmal hören. Und plötzlich: Bumm. Ja, so kann es gehen. Also: Das versöhnliche Ende des Asrael kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Seele verletzt ist. Aber es sind die Klänge der Natur, ein Fest, ein rauschender Tanz (wieso hat man den nicht schon gleich beim zweiten Mal gehört) und diese unglaubliche Meisterschaft in der Polyphonie. Suk ist hier ein Anderer als im Asrael. Seine Klangkunst hat abermals gewonnen. Zum Schluss verschwimmen wieder die Konturen und es bleibt die flirrende Luft. Ein wahres Sommerbild.

Sommermärchen: Der 2. Satz
ist sehr viel zugänglicher. ''Mittag'' - das Thema ist ja schon von den Sommerimpressionen, op. 22b bekannt. Entfernt mag dieser attraktive Satz auch an das Klavierstück erinnern, und er wird von zwei sehr melodiösen, kontrastierenden Themen getragen, die das Bild eines böhmischen Dorfes in sommerlicher Hitze suggerieren. Ist das nicht wieder der ''alte'' Suk. Gibt es eine kompositorische ''Rückkehr''?

Sommermärchen: Der 3. Satz
vermag dies noch zu bestärken. ''Blinde Musikanten'' ist ein Intermezzo, aber ein sehr starker Satz, der melancholisch, klagend, und in gewisser Weise ''grau'' in das Sommerbild eingefügt ist.

Sommermärchen: Der 4. Satz
mit der Überschrift ''Unter Phantomen'' vertreibt die ''Luftspiegelungen'' aus der vergangenen Zeit, wie sie in den beiden vorigen Sätzen eine Rückkehr zur ''alten'' Kompositionsweise vermuten ließen. Wieder ein fantastisches Scherzo mit stärksten Kontrasten. Am Ende: Schlagartige Ruhe und Celesta-Klänge. Erinnert das nicht an Rimski-Korsakovs Version der ''Nacht auf dem Kahlen Berge''?

Sommermärchen: Der 5. Satz
ist der längste. Er trägt die Überschrift ''Nacht'' und erinnert natürlich an den ''Sommerabend'' aus den ''Sommerimpressionen''. Auch wenn der Hörer vielleicht etwas ''enttäuscht'' sein mag, dass nun auch noch der letzte Satz ''langsam'' ist; es lohnt sich unbedingt, das Stück bis zum Ende anzuhören. Einfach lauschen und auf die wunderbaren Klänge achten, die Suks Musik verströmt. Gewiss, es gibt auch einiges Süßliche, was wieder durch die Gegend flirrt; aber wer mit diesen Passagen Probleme haben sollte: sie lassen den Hörer schneller in Ruhe als eine Mücke.

anche Hörer stören sich ein wenig an der Unausgewogenheit des Stils. Der zweite und dritte Satz erscheinen ''konventioneller''. Doch das könnte daran liegen, dass sich hier das melodische Element unmittelbar im ''Vordergrund'' befindet. Wer genau hinhört, wird die große Fülle Sukscher Eingebungen auch in den anderen Sätze erkennen. Das Sommermärchen ist ein vorwiegend helles Werk, aber es ist überraschend, in welcher völlig anderen Richtung Suk seine Tonsprache fortentwickelt hat. Am Ende des Asrael war etwas Anderes zu erwarten. Das Werk zeigt wie sehr sich der Komponist selbst treu geblieben ist und nicht bereit ist, Konzessionen an sein Publikum zu machen, die nicht den künstlerischen Absichten entsprechen (indem er etwa das Werk um einen vermeintlich ''fehlenden schnellen Satz'' erweitert). Zu Asrael kann ich keinen Wertunterschied erkennen.

Zrání, op. 34 (Das Reifen)
ist das dritte Orchesterwerk des Asrael-Tetralogie. Vorausgegangen waren der bedeutende, zweiteilige Klavierzyklus Životem a snem, op. 30 (''Was ich erlebt und geträumt''), sowie die Ukolébavki, op. 33 (Wiegenlieder). Zrání ist eine sinfonische Dichtung auf ein Gedicht von Antonín Sova. Manchmal wird der Titel mit ''Lebensreifen'' übersetzt. Gemeint ist aber das allgemeine Heranreifen. Von Früchten, Korn, und lebendigen Seelen, wobei alles mit einander in Beziehung gebracht werden soll. Eine schöne Idee, aber ein außerordentlich schwieriges Werk, in dem die Leuchtkraft der Tonsprache abermals gesteigert ist. Andererseits setzt es einen sehr erfahrenen Hörer voraus, um die Struktur zu durchschauen. Oft habe ich gehört, es sei zusammen mit Asrael das Hauptwerk des Meisters. Ich bin aber noch längst nicht so weit, dass ich sagen kann, bei mir wäre der Oskar-Wenersche Arbeitsprozess abgeschlossen. Das Stück entstand während des ersten Weltkriegs und gilt als Abschied von einer Epoche und stellenweise verlässt die Musik die tonale Bindung. Nach der Uraufführung waren einige Hörer hoffnungslos überfordert, andere wiederum hellauf begeistert. Das ist eigentlich ein gutes Zeichen.

Epilog, op. 37
Der letzte Teil der Tetralogie ist wohl noch weitgehend unentdecktes Land. Auffällig ist, dass die Genese der Werke (unter Anderem wegen der Komplexität der Tonsprache) für Suk immer mehr Zeit in Anspruch nimmt. Ganze dreizehn Jahre arbeitet er an diesem Opus für drei Solisten (Sopran, Bariton, Baß), zwei gemischten Chören (klein und groß) und Orchester auf Worte von Julius Zeyers Pod jabloní (Unter dem Apfelbaum). Ursprünglich war ein entsprechendes Werk unter dem Titel ''Die Mahd der Liebe'' an Stelle des Sommermärchens gedacht. Aber es kam vorerst nicht zur Ausführung.

Zählt Suk zu den Großen?
Die Zahl der Werke ist niemals entscheidend, um auf eine solche fragwürdige Frage überhaupt zu antworten. Ein einzelnes Werk kann den Ausschlag geben. Unabhängig davon, ob andere Meister daran anknüpfen können oder nicht. Zu welcher ''Kategorie'' sollte denn ein Komponist zählen, der einen Asrael schreiben kann? Von den bedeutenderen Klavierzyklen ganz zu schweigen. Suk hat, wie schon mehrmals betont, während seiner Hauptschaffenszeit an das Publikum keine Zugeständnisse gemacht. Er verzichtet bewusst auf einen ''Weltschlager''. Stattdessen beschließt er für einige seiner Bewunderer sein Schaffen mit einem Fragezeichen. Hätte er nach dem Asrael wieder einen zweiten ''Radůz'' schreiben sollen? Der Künstler hat es nicht getan. Und nur das allein ist entscheidend.


Heiko Schroeder 2012-08-26