Meine kleine Anthologie tschechischer Musik
Antonín Dvořák

Heiko Schröder


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Vorläufiger Text! Zur Zeit finden Arbeiten in der Abteilung »Smetana« statt.

Das schöne Bild von Nelahozeves (früher Mühlhausen), das Miaow Miaow (sic) hier gelang, hätte wohl Antonín Dvořák sehr gefallen. Einerseits liebte seinen Geburtsort sehr, andererseits ist es der schönste Anblick, den das Dorf heute bietet. Mit dem Renaissanceschloss auf einem Felsen hoch über der Moldau (sehr lohnender Besuch!) ist Smetanas Litomyšl gegenwärtig. Wer nicht so hoch hinaus will findet ein schlichtes Dorf, das im Dornröschenschlaf liegen würde, gäbe es nicht die Schnellzüge aus Dresden, die durch diesen Ort in das 40 km entfernt liegende Prag rauschen. Immerhin hat die fast 2000 Seelen zählende Gemeinde zwei Bahnhöfe: Nelahozeves Ort und Nelahozeves Zámek (Schloss). Wir könnten fast glauben: ein Bahnhof für den Ort und einen für seinen großen Sohn, denn neben der Musik, seiner Familie und dem Taubenzüchten war die Eisenbahn Dvořáks große Leidenschaft; in einschlägigen Kreisen gilt sein Name noch heute als der eines der bedeutendsten Experten auf diesem Gebiet.

Was ist das für ein großer Meister,
der mit seiner ''abfetzenden'' Musik selbst ''überzeugte'' Klassik-Abstinenzler zum Nachdenken bringen kann? Viel hat er Bedřich Smetana zu verdanken. Und doch schuf er eine eigene urwüchsige Kunst tiefer Naturverbundenheit, in der die gleiche unbändige Lebensfreude leuchtet wie bei seinem älteren Kollegen. So manches junge Ohr erschließt sich eine Musikgattung erst über Dvořáks Schaffen. Zum Beispiel die Kammermusik, für viele ein Reizwort, und nach der Begegnung mit einigen Werken Dvořáks möglicherweise ein Reiz ohne Worte. Wer zum ersten Mal das amerikanische Streichquartett Nr. 12 in F-Dur, op. 96 hört und erst recht sein Schwesterwerk, das noch exotischere Streichquintett Es-Dur, op. 97 glaubt vielleicht, dass dies und nur dies die Musik Amerikas im 19. Jahrhundert gewesen sein kann. Diese Illusion funktionierte auch zu Lebzeiten Dvořáks bei seinen Freunden in der ''alten Welt'' ganz wunderbar. Tatsächlich war aber die Verwendung halbtonfreier Fünftonreihen (Pentatonik) seit jeher eine Komponente seines Schaffens, die in den USA nur stärker aufleuchten sollte. Führt der Weg nach diesen beiden Werken zum Beispiel über das Klavierquintett in A-Dur, op. 81 oder das Klavierquartett Es-Dur, op. 87 und die beiden letzten Streichquartette Nr. 13, op. 106 (G-Dur) und Nr. 14, op. 105 (As-Dur) weiter, so liegt plötzlich der glitzernde Ozean der Kammermusik vor uns und wir begegnen auch den Werken anderer Komponisten nicht nur mit offenen Ohren, sondern auch mit einem offenen Ohr.

Bekannt ist vor allem Dvořáks sinfonisches Schaffen,
wobei die Sinfonie Nr. 9 e-moll,op. 95 und das Cellokonzert in h-moll, op. 104, also das erste und das letzte in Amerika geschaffene Werk, ein ähnliches Schicksal teilen wie Smetanas ''Verkaufte Braut'' und die ''Moldau''. Einige Fans werden nicht müde, die Welt davon zu überzeugen, es wären - neben der Oper Rusalka - des Meisters Hauptwerke; dabei müssten sie nur ein wenig an der Opuszahl drehen, um auf ein Werk gleicher Höhe zu stoßen. Einen einprägsamen Begriff von seinem orchestralen Schaffen gibt sicherlich der Ouvertüren-Zyklus Natur, Leben und Liebe (was Dvořák später als eizelne Werke In der Natur, Carneval und Otello (sic, ohne h!) ausführte und mit den Opuszahlen 91 bis 93 versah) oder die sinfonische Dichtung Zlatý kolovrat, op. 109 (Das Goldene Spinnrad). Gerade das Märchen vom ''Goldenen Spinnrad'' enthält nicht nur den ganzen Kosmos von Dvořáks orchestralem Schaffen, sondern zeigt auch deutlich, den Unterschied zur Ästhetik Smetanas.

Bedřich Smetana und Antonín Dvořák -
zwei Künstlernaturen, die unterschiedlicher nicht sein können. Hier der protestantische Städter Smetana, den erst die spätere Not auf das Land verschlug, dort der katholische ''Landmann'' Dvořák, der jede Gelegenheit dazu nutzte, sich in der Natur auf seine ''Datscha'', das kleine Landhaus in Výsoka bei Příbram (südwestlich von Prag) zurückzuziehen, so wie es auch heute der sehr sympathischen Leidenschaft fast aller Tschechen entspricht. Eine vielleicht etwas alberne Marginalie, die diesen Unterschied unterstreicht: Smetana heißt auch die Sahne für den Kaffee, Dvořák hat möglicherweise seinen Ursprung im Wort dvůr, das ''Hof'' bedeutet; den ziemlich häufigen Namen Dvořák könnten wir mit ''Hofmann'' übersetzen. Bei diesen Andeutungen will ich es aber belassen, denn jegliche Attribute, wie die Behauptung, Smetanas Musik sei im Allgemeinen feinnerviger, kunstvoller, Dvořáks Musik dagegen urwüchsiger, können nicht den Kern treffen, da sich beide Meister schlichtweg nicht vergleichen lassen. Und doch wird und wurde dieser Versuch immer wieder unternommen.

Der Kulturkampf
ging bald nach dem Ableben Dvořáks im Jahre 1904 los, und sein Schwiegersohn Josef Suk sollte den unsinnigen Zwist sehr bald zu spüren bekommen. Einer der giftigsten Wortführer war Zdeněk Nejedlý, der Dvořák ''Verrat an der fortschrittlichen Sache Smetanas'' vorwarf. Das Ganze wäre nicht so bemerkenswert, hätte Nejedlý nicht als Kultusminister während der sozialistischen Zeit das Werk des ungeliebten Komponisten nachhaltig diffamiert. Ob der Amerikaaufenthalt Dvořáks für den Musikwissenschaftler tatsächlich ein weiterer gewichtiger Grund war, gegen den Komponisten vorzugehen, wage ich anzuzweifeln. Dvořáks Musik galt den Fortschrittlern um Nejedlý als konservativ. In mancherlei Hinsicht ist sie das vielleicht, und außerdem war Dvořák trotz seiner wunderschönen Rusalka und neun weiterer Opern aus seiner Feder keine eigentliche Bühnennatur. Aber was besagt das schon?

Hat etwa der geniale Komponist
der Biblické písně (Biblische Lieder) und des Stabat mater die Welt nicht bereichert, sondern dem Buch der Musikgeschichte lediglich ein ''abgetanes totes Kapitel'' hinzugefügt, wie es Nejedlý behauptete? Nein, der fanatische Smetana-Partisan hat sich - Gott sei Dank - nicht durchgesetzen können. Aber die Nachwirkungen waren lange spürbar. Bisweilen überrascht mich heute eine unkritische Haltung gegenüber Dvořák, die sich in seltenen Fällen sogar zum GröFaZ-Gequatsche aufschwingen kann (''der bekannteste Tscheche aller Zeiten'', wie in einem Rusalka-Programmheft zu lesen war), sodass ich mich manchmal fragen muss, ob Káča nicht mehr weiß wie man den Teufel reitet. Wird in der Wanne das Brett weggezogen, schwappt das aufgestaute Wasser zeitweilig zur anderen Seite. So ist es nun mal.



Heiko Schroeder 2012-08-26